Das schmutzige Geschäft mit der grünen Energie
6694e3e8960c2_SiemensDemo

Was kann falsch daran sein, in einer Welt, die dringend einen ökologischen Wandel braucht, erneuerbare Energien auszubauen? In der Westsahara sind die Probleme vielschichtig.

22. April 2024
  • Das Königreich Marokko hat ein dringendes Energiebedürfnis. Durch den Ausbau von Kapazitäten in der Westsahara, die es unter Besatzung hält, macht es sich abhängig von Energieprojekten in eben diesem besetzten Territorium und damit von der Aufrechterhaltung der militärischen Besatzung.
  • Bis auf einen einzigen Windpark auf besetztem Gebiet - einem Windpark in Privatbesitz, der ein Zementwerk versorgt - gehören alle zum Portfolio von Nareva, dem Windenergieunternehmen der Holding im Besitz der marokkanischen Königsfamilie. Welchen Anreiz hat der König, den UN-Friedensprozess wirklich zu unterstützen, solang er selbst an diesen Projekte verdient?
  • 100% der Energie, die das staatliche marokkanische Phosphatunternehmen OCP benötigt, um die nicht erneuerbaren Phosphatreserven der Westsahara in Bou Craa auszubeuten, wird mit Windkraftwerken gewonnen (oder Download hier). Die 22 Siemens-Windturbinen im Windpark Foum el Oued, der seit 2013 in Betrieb ist, erzeugen 50 MW. Der Aftissat Windpark, der seit 2018 in Betrieb ist, soll auch industrielle Endverbraucher:innen versorgen.
  • Marokko verwickelt andere Staaten durch den Export von Energie aus der Westsahara in sein schmutziges Geschäft mit den Ressourcen der Westsahara. Die EU hat versichert, keine grüne Energie aus dem Territorium zu importieren. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die EU in der Lage sein wird, die in Marokko selbst von der in der Westsahara erzeugten Energie zu unterscheiden. Dies ist eine technische Unmöglichkeit, da beide zusammen über ein Kabel unter der Straße von Gibraltar transportiert würden.
  • Das UN-Klimagremium UNFCCC akzeptiert blind Marokkos Vorgehensweise, die Energieinfrastruktur in der Westsahara als Teil seiner eigenen Verpflichtungen zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens darzustellen. Dies suggeriert die Anerkennung durch die UNO und internationales Lob für Projekte, die verurteilt und sanktioniert werden sollten.
  • Marokko hat eine große Zahl der Sahrauis aus ihrer Heimat vertrieben, und zwar genau aus den Gebieten, in denen es jetzt seine erneuerbare Energien-Projekte entwickelt. Die sahrauischen Geflüchteten wurden in einen Teil der saharischen Wüste vertrieben, in dem die Auswirkungen des Klimawandels noch stärker zu spüren sein werden als in den Küstengebieten, aus denen sie geflohen sind. Das Versäumnis der UNO, eine Lösung für die Besatzung zu finden, bedeutet auch, dass die Sahrauis von den globalen Klimagesprächen, der Klimapolitik und den Finanzierungsmechanismen ausgeschlossen bleiben, welche sie dringend brauchen könnten, um sich für einige der schlimmsten Auswirkungen zu wappnen.


Gegenwärtig gibt es 5 in Betrieb befindliche Windparks in der besetzten Westsahara, während sich 5 weitere in der Planungsphase befinden. Zusammen werden diese Windparks eine Kapazität über 2000 MW haben.

Der Bericht Greenwashing Occupation von WSRW vom Oktober 2021 setzt sich detailliert mit allen zu dieser Zeit bekannten marokkanischen Erneuerbaren Energie-Projekten in der besetzten Westsahara auseinander.  

Die Entwicklung im Bereich der Erneuerbaren Energien begann im Jahr 2012, als Marokko eine Ausschreibung für den Bau von fünf Windparks veröffentlichte: drei in Marokko selbst und zwei in "den südlichen Provinzen" - die von Marokko bevorzugte Bezeichnung des Teils der Westsahara, den es illegal annektiert hat. Die beiden Projekte in der Westsahara wurden als ein 100-MW-Park in der Nähe von Boujdour und ein 300-MW-Park in Tiskrad in der Nähe von El Aaiun konzipiert. Der Auftrag für alle fünf Windparks ging an ein Konsortium unter der Führung von Siemens Gamesa Renewable Energy, dem auch Enel Green Energy und Nareva angehören. Im Jahr 2019 wurde der Vertrag für den Bau des Kraftwerks Boujdour unterzeichnet, nachdem seine Kapazität auf 300 MW erhöht worden war. Die Bauarbeiten begannen 2021 mit Lieferungen aus Spanien durch die deutsche Reederei Briese Schiffahrt. Der Windpark ist seit Juli 2023 in Betrieb.

Im Rahmen des gesamten Windparkprojektes baute Siemens Gamesa Renewable Energy eine Windturbinenfabrik in Tanger im Norden Marokkos, die Fabrik 2017 eingeweiht wurde. Erster Kunde war Nareva mit einem Auftrag über 56 Turbinen für einen Windpark in den besetzten Gebieten: in Aftissat.

Der 200-MW-Windpark Aftissat ist seit Oktober 2018 in Betrieb. Der Park wurde von der britischen Firma Windhoist gebaut und besteht aus den 56 Windkraftanlagen von Siemens Gamesa. Der von ihnen erzeugte Strom ist für industrielle Nutzer:innen bestimmt, darunter OCP, LafargeHolcim Maroc und Ciments du Maroc. Siemens Gamesa hat sich nicht bemüht, die Kritik von Investor:innen und Sahrauis aufzugreifen. Im Jahr 2020, acht Jahre nachdem Siemens sein erstes Projekt in der Westsahara angekündigt hatte, kündigte Siemens Gamesa eine gigantische Lieferung an den Boujdour-Park an und bezeichnete die Westsahara als Teil Marokkos.

"Siemens sollte nachweisen, wie seine Aktivitäten in der Westsahara im Einklang mit den Interessen und Wünschen der Sahrauis stehen, wie sie in Übereinstimmung sind mit dem Recht auf Selbstbestimmung, das im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verankert ist. Sollte dies nicht möglich sein, sollte sich das Unternehmen aus der Westsahara zurückziehen". 

Erste Asset Management, zu den "Aktivitäten“ der Siemens AG „in besetztem Territorium", Vierteljährlicher Engagement Report Q1 2018


Im September 2021 gab eine Tochtergesellschaft des US-Unternehmens General Electric bekannt, dass sie einen Vertrag über die Entwicklung des 200-MW-Parks Aftissat 2 unterzeichnet habe, wobei sie den Standort in "Marokko" nannte. 2023 schien der Park kurz vor der Fertigstellung zu stehen.


Seit 2020 wurde eine Reihe neuer Projekte entwickelt:


Marokko ist auch bestrebt, das Solarpotenzial der Westsahara zu nutzen. Die bisher vorhandene Solarkapazität in dem Gebiet ist heute noch relativ gering, bestehend aus zwei in Betrieb befindlichen photovoltaischen Anlagen mit einer Gesamtleistung von 100 MW. Der 80-MW-Standort El Aaiún und der 20-MW-Standort Boujdour wurden im Rahmen des Projekts NOOR PV I entwickelt, das von einem Konsortium unter der Leitung von ACWA Power in Partnerschaft mit Shapoorji Palloni, Chint Group, Sterling & Wilson und Astroenergy durchgeführt wurde. Die Bekanntgabe des erfolgreichen Angebots von ACWA Power erfolgte auf der UN-Klimakonferenz COP22 in Marrakesch im November 2016, wo das Unternehmen auch den Vertrag mit Masen, der marokkanischen Agentur für ‘nachhaltige’ Energie, unterzeichnete. Die Zertifizierung des Solarinfrastrukturprogramms im besetzten Gebiet erfolgte durch das marokkanisch-französisch-britische Vigeo Eiris. Das Unternehmen weigert sich, Fragen von WSRW zu beantworten und hat Erklärungen abgegeben, in denen es die Position Marokkos zur Besatzung nachdrücklich unterstützt.

Die marokkanische Regierung hat Pläne für einen 350-MW-Solarpark mit dem Namen Noor Boujdour II angekündigt

Der 5-MW-Windpark CIMAR befindet sich in Privatbesitz von Ciments du Maroc (CIMAR) und erzeugt den Strom, der für den Betrieb des Zementmahlwerks Indusaha in El Aaiun erforderlich ist. Ciments du Maroc ist eine Tochtergesellschaft von Italcementi, die wiederum eine Tochtergesellschaft des deutschen Konzerns HeidelbergCement ist. Die Turbinen wurden von Gamesa installiert, das mit Siemens Wind Power zu Siemens Gamesa Renewable Energy S.A. fusionierte. Der CIMAR-Windpark ist der Einzige, der nicht zum Portfolio des in Besitz der marokkanischen Königsfamilie befindlichen Windunternehmens Nareva gehört. Siemens bzw. Siemens Gamesa Renewable Energy hat alle fünf Windparks in der Westsahara mit Turbinen ausgestattet.

Außerdem wurde die Absicht angekündigt, einen weiteren Solarpark in El Argoub, in der Nähe von Dakhla zu errichten.

Im Jahr 2023 ergab eine von der marokkanischen Regierung in Auftrag gegebene Studie, dass das größte Potenzial Marokkos für die Entwicklung von grünem Wasserstoff in der besetzten Westsahara liegt. Im Herbst 2023 enthüllte das Finanzhaushalt der marokkanischen Regierung für 2024, dass sie "öffentliches Land" für Projekte zur Entwicklung von grünem Wasserstoff zugewiesen hat: nicht weniger als 81 % dieser Flächen liegen in der Westsahara. Eines der aufgeführten Projekte nimmt durch die Zusammenarbeit des marokkanischen Unternehmens Falcon Capital Dakhla mit dem französischen Unternehmen HDF Energy Gestalt an. Der Baubeginn des Projekts mit dem Namen "White Dunes" ist für 2025 geplant, die Wasserstoffproduktion für 2028. Das 8-GW-Produktionsprojekt soll durch 10 GW Windkraft und 7 GW Solarkraft mit Energie versorgt werden. Ein weiteres grünes Wasserstoffprojekt, das kurz vor dem Start steht und im Finanzhaushalt nicht erwähnt wurde, wird von GE Vernova, einer Tochtergesellschaft des US-Konzerns General Electric, vorangetrieben. Das Unternehmen arbeitet mit ONEE, der staatlichen marokkanischen Agentur für Strom und Wasser, und Nareva, dem Energieunternehmen des marokkanischen Königs, zusammen, um die Gasturbinen des 99-MW-Wärmekraftwerks in El Aaiún auf Wasserstoffbetrieb umzustellen.

Im Januar 2020 legte das marokkanische Ministerium für Energie und Bergbau außerdem Forschungsergebnisse vor, die zwei mögliche Gebiete für die Nutzung geothermischer Energie aufzeigten: den Nordosten Marokkos und das "Tarfaya-Laayoune-Dakhla-Becken in Südmarokko" - letzteres entspricht dem Gebiet der Westsahara, das von Marokko besetzt ist. Im April 2019 wurde das portugiesische Unternehmen Gesto Energy mit der "Identifizierung und Untersuchung von Gebieten mit geothermischem Potenzial in den Provinzen im Süden Marokkos auf einer Fläche von mehr als 140.000 km2, die der marokkanischen Sahara entspricht", beauftragt. Die auf der Website der Firma enthaltenen Karten lassen kaum Zweifel: Das Gebiet, das die Studie einschließt, umfasst praktisch den gesamten Teil der Westsahara, der gegenwärtig unter marokkanischer Militärkontrolle steht.

Siemens-Rotorblätter im Hafen von El Aaiun in der besetzten Westsahara, im Jahr 2013

Da Sie schon einmal hier sind...

Die Recherchen von WSRW werden mehr denn je gelesen und genutzt. Unsere Arbeit ist zum überwiegenden Teil ehrenamtlich, sie erfordert Zeit, Hingabe und Sorgfalt. Aber wir tun sie, weil wir glauben, dass sie wichtig ist - und wir hoffen, dass Sie das auch tun. Mit einer kleinen monatlichen Unterstützung können Sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Zukunft von WSRW zu sichern und dafür sorgen, dass wir weiterhin unseren komplett unabhängigen Recherchen nachgehen können. 

Eine regelmäßige Spende können Sie hier einrichten. Vielen Dank!

Nachrichten

Klimakonferenz COP22 –Marokkos schmutziges Geschäft mit grüner Energie

Vorsicht bei den Informationen, die Sie an der Klimakonferenz in Marrakesch (COP22) über Marokkos Leistungen im Bereich erneuerbare Energie erhalten. Ein immer größerer Teil der Projekte liegt im besetzten Gebiet der Westsahara. Die in diesen Projekten gewonnene Energie wird zur Ausbeutung von Mineralien benutzt. Dies belegt ein neuer WSRW-Bericht.

02. November 2016

Wind, Sand und "meer" - Die Plünderung der Westsahara

Wie die Westsahara, die letzte Kolonie Afrikas, skrupellos ausgeplündert wird.

08. September 2013

Wie mit “grüner Energie” die Besatzung der Westsahara verfestigt wird

Western Sahara Resource Watch (WSRW) hat heute einen detaillierten Bericht darüber vorgelegt, wie Marokko dabei ist, bis über 1000 MW (Megawatt) Anlagen für die Gewinnung erneuerbarer Energien in der Westsahara zu installieren, einem Gebiet, das Marokko zu großen Teilen noch immer völkerrechtswidrig besetzt hält.

28. August 2013

Siemens macht Geschäfte in der besetzten Westsahara

Trotz anhaltender Proteste ist die deutsche transnationale Siemens AG bereits dabei, Bauteile für Windkraftanlagen nach El Aaiún in die besetzte Westsahara zu verschiffen. Dabei geht das Unternehmen eine Partnerschaft mit der gleichen königlichen Familie ein, die für die brutale Besetzung dieses Gebietes verantwortlich ist.

05. März 2013